Laudatio Donauwoerth

Norbert Kiening*:

Die Preisträgerarbeit ist ein fotografisches Stillleben und faszinierend aus mehrerlei Gründen. Sie ist hyperrealistisch, so dass die bekannte Anekdote über einen Künstlerwettstreit zwischen den altgriechischen Malern Zeuxis und Parrhasios, wie von Plinius überliefert, auch für das Bild „Anmaßung“ passen würde. Danach malte Zeuxis im Wettstreit ein Ensem-ble von Trauben so täuschend echt, dass die Vögel nach diesen pickten. Darauf sollte nun Parrhasios sein verhangenes Bild enthüllen. Es stellte sich jedoch heraus, dass schon der Vorhang eine perfekt gemalte Illusion des Künstlers war. Sie könnten jetzt einwenden, es handle sich hier nicht um Malerei, sondern um Fotografie. Das ist richtig, aber ihr ist die Anmutung altmeisterlicher Malerei zu eigen und sie erinnert ein wenig an Giuseppe Arcimboldo, den italienischen Maler der Spätrenaissance, der manieristisch perfekte Kompositionen aus Früchten schuf. Insbesondere die Reflexe des fein gesetzten Lichts auf den Köpfen der Polsternägel und den Fellhaaren, aber auch die aus dem Dunkel der Ecke auftauchenden Gegenstände, lassen an Lichtstimmungen barocker Gemälde und etwa der Lichtführung eines Rembrandt denken. Fackler inszenierte dieses Stillleben mit Fundstücken in seinen Arbeitsräumen sehr perfekt und musste das Foto kaum nachbearbeiten. Bei einem Besuch konnte ich mich davon persönlich überzeugen und durfte die Gegenstände seiner Installation besichtigen. Diese sind nicht verfremdet, aber extra für sein Arrangement ausgesucht aus der umfangreichen Sammlung des Künstlers. Es sind besonders außergewöhnliche, aber auch sehr gewöhnliche Gegenstände, mit denen Thomas Fackler sich umgibt, mit denen er lebt und die er immer wieder in seine künstlerischen Projekte einbezieht, denn er wohnt und arbeitet in einem bemerkenswerten, einzigartigen Künstlerhaus mit großem Garten. Darin züchtet er meterhohe tropische Baumfarne, so dass man sich versetzt fühlt in einen prähistorischen Urwald, der mit einer Vielzahl von Fundstücken durchsetzt ist. Ist nun Thomas Facklers Stillleben mehr als eine Fotografie von zufällig an die Wand gestellten Gegenständen? Von links nach rechts taucht aus dem mythischen Dunkel des Bildes auf den ersten Blick ein lauerndes, skurriles Wesen auf. Die Läufe eines Rehs tragen ein undefinierbares Fellknäuel. Ein mit Zähnen bewehrter Gebissschädel auf einem scheinbar knöchernen Hals zeigt sich rechts davon. Ein genauerer Blick offenbart, dass sich die Gegenstände nur in unserer Fantasie zu einem Tier verbinden, zudem liegt am Boden ein weiterer Kiefer, imaginär den Betrachter fixierend. Bei näherer Untersuchung ist festzustellen, dass diese vermeintlichen Schädel oder Kiefer zwei abgerissene Bestandteile eines Polsterstuhles sind.
Gekonnt spielt der Künstler mit unserer Vorstellung und Fantasie und führt uns in seine surreale Erzählung. Oder hat ein Tierpräparator die Arbeit nicht vollendet und die Narration entsteht in unserem Kopf? Handelt es sich bei dem Fell etwa um das goldene Vlies aus der Argonautensage der Griechen? Ist die Installation ein Hinweis auf den Raubbau an der Natur durch uns Menschen? Erblicken wir hier die Geburt eines neuen, genetischen Experimenten entsprungenen, dreibeinigen Wesens? Der Titel des Werkes lässt hier vieles offen. In jedem Fall wirken die Schalen des Rehgeläufs zum Sprung bereit und angriffslustig, als ob ein hungriges Gebiss sich inmitten des Fells verbürge. Facklers „Anmaßung“ regt auf vielfältige Weise unsere Fantasie an, besticht durch seine Komposition und Präzision und ist zu Recht mit dem Kunstpreis ausgezeichnet.

*Vorsitzender des Berufsverbandes bildender Künstler Augsburg und Schwaben Nord